Wenn man die Ausstellung „Caspar David Friedrich: Wo alles begann“ in Dresden besucht, drängt sich einem der Gedanke auf, dass die Naturromantik nicht nur eine künstlerische Bewegung, sondern auch ein zutiefst deutsches kulturelles Defizit ist. Friedrichs Gemälde, die ikonischen Landschaften, die wehmütige Wanderer und erhabene Horizonte zeigen, wirken wie ein ästhetisches Opium, das die Betrachter in eine Welt der Träume und Illusionen entführt – fernab von der harten Realität, die in der gegenwärtigen politischen Landschaft Sachsens tobt.
Die Ausstellung selbst, eine Feier von Friedrichs 250. Geburtstag, offenbart die traurige Ironie des sächsischen Daseins: Während die Menschen in Friedrichs Zeiten von den Schrecken der industriellen Revolution und den Umwälzungen der Gesellschaft fliehen wollten, scheint sich die moderne sächsische Bevölkerung in einer Art kollektiven nostalgischen Träumerei zu verlieren. Diese verklärte Romantik ist ein zentrales Element des sächsischen Geisteszustands, der in diesen Tagen, parallel zur Landtagswahl, auf die Probe gestellt wird.
Hier begegnen wir der grausamen Realität: Die politische Wahlbeteiligung scheint mehr ein Akt des Pflichtbewusstseins als eine wirkliche Entscheidung für die Zukunft zu sein. Die Menschen wählen, doch wie die wandernden Figuren in Friedrichs Gemälden, scheinen sie von einer tiefen Sehnsucht nach einer Vergangenheit getrieben zu sein, die nie wiederkommen wird. Man könnte fast sagen, dass die Wahl ein Spiegelbild der künstlerischen Themen dieser Ausstellung ist – eine melancholische Auseinandersetzung mit einer idealisierten Vergangenheit, die in scharfen Kontrast zu den komplexen Realitäten der Gegenwart steht.
Friedrichs Landschaften, so schön sie auch sein mögen, sind nichts weiter als Projektionen der menschlichen Einsamkeit und Entfremdung. Die Natur, die er malt, ist keine reale, lebendige Welt, sondern eine metaphorische Bühne, auf der die eigenen inneren Kämpfe und Ängste ausgetragen werden. Und genau hier liegt die Verbindung zur aktuellen politischen Situation: Die sächsischen Wähler sind wie die einsamen Wanderer in Friedrichs Gemälden – verloren in einer idealisierten Vorstellung von „der guten alten Zeit“, unfähig, sich der rauen Realität der Gegenwart zu stellen.
Was wäre, wenn Friedrichs Gemälde nicht als Ausdruck eines erhabenen Naturerlebnisses, sondern als bittere Satire auf die menschliche Tendenz zur Selbsttäuschung verstanden würden? Der Künstler zeigt uns keine „heilige“ Natur, sondern eine unnahbare, kalte Welt, die das menschliche Bedürfnis nach Bedeutung und Zugehörigkeit konterkariert. Diese vermeintlich heilige Natur ist in Wahrheit nur eine leere Hülle, eine Leinwand, auf die wir unsere eigenen Wünsche und Ängste projizieren.
Und genauso verhält es sich mit der politischen Landschaft Sachsens. Die Wahl scheint weniger eine echte Auseinandersetzung mit den Herausforderungen unserer Zeit zu sein, sondern eher eine Übung in nostalgischer Selbsttäuschung. Die Wähler blicken in den romantischen Nebel, den Friedrich so meisterhaft auf die Leinwand bannte, und sehen darin nur das, was sie sehen wollen – nicht das, was wirklich ist. Diese Wahl könnte man daher auch als ein künstlerisches Werk betrachten, eine tragikomische Inszenierung, in der die Hauptdarsteller nicht die Politiker, sondern die Wähler selbst sind, die durch ihre Entscheidungslosigkeit und ihre Sehnsucht nach einer vergangenen, idealisierten Welt das eigentliche Drama verkörpern.
In dieser Hinsicht ist die Ausstellung „Caspar David Friedrich: Wo alles begann“ mehr als nur eine Retrospektive eines großen Künstlers. Sie ist ein Spiegel der sächsischen Seele, die sich in einem Zustand der romantischen Stagnation befindet. Die Natur, die in Friedrichs Gemälden dargestellt wird, ist nicht die erhabene, heilende Kraft, als die sie oft missverstanden wird, sondern eine trostlose Bühne, auf der die Tragödien des menschlichen Geistes inszeniert werden.
Und so wandern wir weiter, gefangen in einem ewigen Kreislauf aus Sehnsucht und Enttäuschung, immer auf der Suche nach einem besseren Horizont, der nie erreicht werden kann. Die Ausstellung erinnert uns daran, dass die Romantik – sowohl in der Kunst als auch in der Politik – eine gefährliche Falle sein kann, die uns dazu verführt, uns in Illusionen zu verlieren, anstatt uns den Herausforderungen der Realität zu stellen. Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir aufhören, in den romantischen Nebel zu starren, und beginnen, den Boden unter unseren Füßen zu spüren. Doch bis dahin bleibt uns nur, weiter durch Friedrichs trügerische Landschaften zu wandern, in der Hoffnung, dass irgendwo, jenseits des Horizonts, eine bessere Zukunft auf uns wartet. Aber ob diese Zukunft jemals eintreten wird, bleibt genauso ungewiss wie die fernen Gestalten in Friedrichs Gemälden.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 5.1.2025. Mehr Informationen:
https://www.skd.museum/ausstellungen/caspar-david-friedrich-wo-alles-begann/