Eine Kritik von Aiden Blake
Prolog – Die Gesellschaft im Haltemuster
Kennen Sie das Gefühl, festzustecken?
Nicht im Verkehr, nicht in einem Software-Update. Ich meine das leise, zähe, existenzielle Feststecken. Sie rufen an – niemand geht ran. Sie klicken „Senden“ – nichts passiert. Sie warten auf einen Rückruf, der nie kommt, auf eine Veränderung, die sich selbst immer wieder vertagt. Und am Ende zweifeln Sie nicht mehr an der Welt, sondern an Ihrem Zeitempfinden. Haben Sie wirklich gewartet – oder wurde das Warten zum Zustand?
Unsere Gegenwart kennt viele Formen der Warteschleife: ökonomisch, administrativ, affektiv. Wir erleben politische Reformen, die nie realisiert werden. Gesellschaftliche Umbrüche, die als Ankündigung zirkulieren, aber in endlosen Kommissionsschleifen neutralisiert werden. Entscheidungen, die nicht getroffen, sondern simuliert werden. Es ist ein Zustand des Schwebezustands – kein Stillstand, sondern eine Bewegung ohne Richtung. Dieses kollektive Schweben hat längst eine Ästhetik hervorgebracht: glatt, rhythmisch, sedierend.
I. Kreisen ohne Konfrontation
Die Ausstellung „Holding Pattern – Warteschleifen und andere Loops“ verspricht, eben diesen Zustand zu fassen. Sie versammelt internationale künstlerische Positionen, die sich mit Wiederholung, Reproduktion, Algorithmen und Bewegung ohne Fortschritt beschäftigen. Das Setting im Dortmunder HMKV, einem traditionsreichen Raum für Medienkunst, ist klug gewählt. Die Begriffe „Loop“ und „Warteschleife“ sind ebenso kulturell aufgeladen wie technologisch durchdrungen – sie verweisen auf musikalische Pattern, digitale Kontrollsysteme, neurotische Bewegungsmuster und poetische Ruhezustände. Und doch zeigt sich in der konkreten Realisierung dieser Ausstellung ein Phänomen, das ihre eigene Relevanz untergräbt: Sie stellt nicht aus, sie umkreist. Sie befragt nicht, sie illustriert.
Die künstlerischen Arbeiten in Holding Pattern bieten keine Unterbrechung des Kreislaufs, den sie thematisieren – sie fügen sich ihm. Was als kritisches Erforschen des Wartens gedacht ist, gerät zur Ausgestaltung des Wartens selbst. Dabei ist das Problem nicht die Wahl der Werke, sondern ihre kuratorische Kontextualisierung. Denn was auffällt, ist eine durchgängige Repetition nicht nur auf der Ebene der Medien (Video, Loop, Sound), sondern auch der Ideen. Jedes Werk scheint eine Abwandlung desselben Gedankens zu sein – in unterschiedlicher Tonlage, aber identischer Syntax. So wird das Versprechen, verschiedene Aspekte des Wartens künstlerisch sichtbar zu machen, selbst zu einem Loop: ein gedankliches Kreisen um bereits Gesagtes, bereits Geahntes, bereits Gesehenes.
Die Positionen selbst sind dabei keineswegs schwach – im Gegenteil. Stan Douglas’ „Luanda-Kinshasa“, eine sechs Stunden lange Simulation einer fiktiven Jazz-Session im Stil der 1970er Jahre, inszeniert die permanente Entstehung eines musikalischen Moments, der nie zur Gegenwart wird. Die Kamera kreist, die Musiker improvisieren, doch der erwartete Höhepunkt bleibt aus. Es ist ein Werk von bestechender Oberflächenperfektion – aber gerade diese Perfektion wird zur Falle. Die politische Allegorie – angedeutet durch die Titelverweise auf postkoloniale Städte und die performative Evokation Schwarzer Musikgeschichte – bleibt Behauptung. Man spürt: Hier wird eine politische Dimension vorausgesetzt, aber nicht analytisch durchdrungen. Der Loop als ästhetische Struktur ersetzt die inhaltliche Zuspitzung. Die Arbeit brilliert technisch – aber sie weiß zu viel und fragt zu wenig.
Harun Farockis „Deep Play“ ist in dieser Konstellation eine Ausnahme – und zugleich ein Anachronismus. Seine zwölfkanalige Analyse des WM-Finales 2006, ursprünglich 2007 entstanden, zerlegt das globale Sportereignis in Vektoren, Daten, Bewegungsmuster, Kontrollnetzwerke. Es ist eine brillante Dekonstruktion der Totalvisualität und des kybernetischen Blicks. Doch in Holding Pattern wirkt das Werk seltsam deplatziert. Nicht, weil es schwach wäre – sondern weil es zu sehr aus einer anderen Zeit stammt, einer Zeit, in der Kritik noch als formale Zerstörung von Evidenz operierte. Farocki zerlegte den Mythos der medialen Erkennbarkeit, wo andere ihn ästhetisierten. Hier wird sein Werk zum musealen Zitat – zur intellektuellen Leihgabe, mit der die Ausstellung ihre eigene Ambition legitimieren will.


Ein ähnlicher Effekt zeigt sich bei Susan Philipsz, deren Arbeit „Ambient Air“ das Summen von Brian Enos Music for Airports über den geschlossenen Flughafen Tegel legt – zuerst aus einem Flugzeug heraus, später durch die Lautsprecher der Ausstellung. Der gestische Bezug zur Warteschleife ist evident, das Konzept poetisch. Doch was erzeugt diese Geste eigentlich im Raum? Es ist eine weichgezeichnete Melancholie, ein elegischer Tonfall, der nicht irritiert, sondern beruhigt. Warten wird hier nicht als Struktur sichtbar gemacht, sondern als ästhetischer Zustand verklärt. Die Soundinstallation lullt ein – sie öffnet keine Fragen, sondern entzieht sich ihnen. Vielleicht ist es genau dieser Aspekt, der die Schwäche der Ausstellung am deutlichsten verkörpert: Sie verwechselt Atmosphäre mit Analyse.
Noch technischer, noch glatter, noch näher an der Simulation ist die Arbeit von Stefan Panhans & Andrea Winkler, die in „Freeroam à Rebours“ menschliche Tänzer:innen gegen CGI-Avatare antreten lassen. Das Setting: eine dystopisch überformte Event-Architektur mit Stadionbänken, Absperrungen, Gaming-Stühlen, Carbon-Elementen. Die Avatare bewegen sich ruckelnd, glitchen, reproduzieren Fehler. Doch auch hier bleibt alles symbolisch. Es ist die Simulation von Kritik, nicht ihre Ausführung. Das Werk sagt: Seht her, so funktionieren Kontrollsysteme – aber es durchbricht sie nicht. Es ist ästhetisch beeindruckend, formal makellos – und doch bleibt es leer, weil es im System bleibt, das es kritisieren will. Der Loop ist hier nicht Thema – er ist Modus.
So formt sich ein widersprüchliches Bild. Die Werke sind allesamt professionell, formal stark, aufgeladen mit Referenzen. Doch was fehlt, ist Widerstand. Kein Werk bricht seine eigene Struktur auf. Kein Werk wagt es, unverständlich zu werden. Kein Werk widersetzt sich der Logik seiner Ausstellung. Alles ist korrekt, alles ist benennbar. Und genau das ist das Problem. Es ist eine Ausstellung, die alles schon weiß, aber nichts mehr fragt.
Man könnte nun fragen: Ist es überhaupt möglich, eine Ausstellung über Loops so zu konzipieren, dass sie nicht selbst in einen Loop gerät? Kann man Warteschleifen thematisieren, ohne das Publikum in ihnen einzufrieren? Die Antwort wäre: Ja – aber es erfordert eine radikalere kuratorische Haltung, als diese Ausstellung bereit war zu leisten.
Denn das zentrale Problem liegt nicht in den Werken selbst, sondern in der Art und Weise, wie sie zusammengesetzt, gerahmt und gedeutet werden. „Holding Pattern“ ist keine offene, tastende Ausstellung – es ist eine Form von Kurationsroutine, bei der die These bereits vorformuliert ist, bevor der erste Schritt ins Ausstellungsgelände gemacht wurde. Die Arbeiten wirken nicht nebeneinander, sondern untereinander – als würden sie sich gegenseitig bestätigen, um dem übergeordneten Narrativ des „Schwebezustands“ zu dienen. Der Loop ist nicht nur Thema, er ist der Gestus der Ausstellung selbst.
Der begleitende Katalog, verfasst von Tom McCarthy, liefert dafür das intellektuelle Gerüst: eine Mischung aus literarischer Selbstreferenz und kybernetischer Philosophie, gewürzt mit Oedipus, Sensoren, Algorithmen und ungreifbarer Totalstruktur. Der Text ist brillant – aber eben auch geschlossen. Er denkt nicht, er erklärt. Und genau so wird auch kuratiert: von innen nach außen, nicht vom Werk zur These, sondern von der These zum Werk. Es ist die logische Umkehrung dessen, was Kuration sein sollte. Nicht Verstehen, sondern Bestätigung.


Und so beginnt die Ausstellung zu kreisen. Wie ein Flugzeug im Holding Pattern über einem unsichtbaren Flughafen, das keine Erlaubnis zur Landung bekommt, aber auch keine zum Abbruch. Alles bleibt potenziell – nichts wird wirklich. Selbst die politisch ambitionierteren Werke, wie etwa Elizabeth Prices „Slow Dans“-Zyklus, der Tanz, britischen Bergbau und Datenspeicherung verbindet, verlieren ihre Dringlichkeit, weil sie in eine kuratorische Sprache eingebettet sind, die sich selbst wichtiger nimmt als den Prozess der Rezeption. Die Ausstellung fragt nicht: Was passiert, wenn der Zuschauer aus der Schleife ausbricht? – sie fragt: Wie viele Loops lassen sich aneinanderreihen, bevor etwas wie Bedeutung entsteht?
Doch Bedeutung entsteht hier nicht – sie wird nur simuliert.
Philosophisch betrachtet wäre genau das der entscheidende Punkt: Der Loop als Struktur ist nicht per se kritisch. Er kann subversiv sein – wie bei Beckett, bei Dan Graham, in den endlosen Rückkopplungen von Bruce Nauman oder den statisch entleerten Bildräumen von Chantal Akerman. Aber der Loop kann ebenso zur Komfortzone des Ästhetischen werden, zum goldenen Käfig des Intellekts, der keine Entscheidung mehr zulässt. Und genau das geschieht in Holding Pattern: Der Loop wird zur Kurationsästhetik, zur intellektuellen Rechtfertigung für Passivität.
In einer Zeit, in der sich politische Prozesse, gesellschaftliche Strukturen und selbst individuelle Biografien zunehmend in Endlosschleifen verheddern – Prekarität, Migration, Klimakrise, digitale Fatigue – wäre es die Aufgabe der Kunst, eben diesen Loop zu unterbrechen. Nicht zu feiern, nicht zu gestalten, nicht zu vertonen – sondern zu zerschneiden. Doch hier wird das Gegenteil getan: Der Loop wird als schöne Geste konserviert.

II. Vielleicht hätte man ihn verlassen müssen
Wie kann das sein? Wie kann man eine Ausstellung über Repetition machen, die nicht selbst repetitiv wird? Die Antwort könnte lauten: Indem man das Risiko der Störung zulässt. Indem man Leere zulässt, oder Überforderung. Indem man Werke nebeneinanderstellt, die sich widersprechen. Indem man nicht ausstellt, sondern provoziert. Aber nichts davon geschieht hier. Stattdessen: eine glatt polierte Oberfläche, die keine Risse kennt. Eine Ausstellung, die so intelligent sein will, dass sie sich keine Dummheit erlaubt – und gerade darin versäumt, wirklich zu denken.
Und so bleibt Holding Pattern das, was der Titel verspricht: ein Wartemuster. Kein Start, keine Landung. Nur Kreisen. Und während draußen die Gesellschaft längst in ihren eigenen Haltemustern implodiert – von Gesundheitsämtern bis zu geopolitischen Konferenzen, von Bildungsversprechen bis zur Digitalisierung der Verwaltung – bleibt die Kunst in ihrer Schleife. Und das Publikum? Es sieht sich selbst, erkennt sich wieder – und geht mit der trügerischen Gewissheit, dass Sehen bereits Kritik sei.
Doch ist es das?
Vielleicht wäre das eigentliche Gegenbild zu dieser Ausstellung nicht ein anderes Kunstwerk, sondern eine Abwesenheit. Ein leerer Raum. Eine echte Pause. Eine Störung im Loop. Vielleicht wäre es klüger gewesen, den Loop nicht zu illustrieren, sondern zu verlassen.
Aber dafür hätte man ihn wirklich begreifen müssen.
Mehr Informationen zur Ausstellung: https://www.hmkv.de/ausstellungen/ausstellungen-detail/Holding_Pattern_Warteschleifen_und_andere_Loops.html