Neue Nationalgalerie | Zerreißprobe. Kunst zwischen Politik und Gesellschaft.

Neue Nationalgalerie | Zerreißprobe. Kunst zwischen Politik und Gesellschaft.
Konrad Klapheck: Glanz und Elend der Reformen, 1971-1975, Öl auf Leinwand, 257 x 337 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, erworben durch die Freunde der Nationalgalerie, Foto: Klaus Göken © VG Bild-Kunst, Bonn 2023

„Die Kunst der Ausflucht: Wie ‚Extreme Tension‘ die Gesellschaft spiegelt, ohne sich selbst zu zeigen.“

In Zeiten, in denen die politischen Spannungen in Europa zunehmen und die sozialen Strukturen unter immensem Druck stehen, bietet die Ausstellung „Extreme Tension. Art between Politics and Society“ in der Neuen Nationalgalerie Berlin eine dringend notwendige Reflexion über die Rolle der Kunst in diesen Krisenzeiten. Doch statt eine klare Antwort zu geben, scheint die Ausstellung die tiefen Risse unserer Gesellschaft nur weiter zu enthüllen, während sie sich in einem nebulösen Diskurs verliert, der mehr Fragen als Antworten aufwirft.

Die Ausstellung versucht, die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis hin zur Jahrtausendwende zu dokumentieren, eine Ära, die von beispiellosen politischen und sozialen Umbrüchen geprägt war. Die Kuratoren haben Werke ausgewählt, die die Spannungen zwischen Ost und West, Kapitalismus und Sozialismus, Freiheit und Repression widerspiegeln. Es sind diese Spannungen, die in den Werken der gezeigten Künstler unmissverständlich zum Ausdruck kommen. Die Betonung liegt auf den großen Konflikten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: dem Kalten Krieg, dem Mauerfall und den damit verbundenen Hoffnungen und Enttäuschungen.

Ein Spiegelbild der Vergangenheit oder ein verzerrtes Bild der Gegenwart?

Das eigentliche Problem der Ausstellung liegt in ihrer fast schon naiven Annahme, dass historische Kunstwerke als unverfälschte Spiegel der damaligen Zeit fungieren können. Diese Werke – ob sie aus der DDR, der BRD, den USA oder den ehemaligen sozialistischen Staaten stammen – sind keine neutralen Artefakte, sondern Produkte ihrer jeweiligen ideologischen und politischen Kontexte. Es ist fast ironisch, dass eine Ausstellung, die sich mit den Spannungen zwischen Politik und Gesellschaft beschäftigt, so wenig Bewusstsein für die manipulativen Kräfte zeigt, die diese Kunstwerke selbst beeinflusst haben.

Die Kunst der Instrumentalisierung

Katharina Sieverding: Schlachtfeld Deutschland, XI/78, 1978, Staatliche Museen zu Berlin, Neue
Nationalgalerie, VG Bild-Kunst Bonn, 2023 / Foto: Jens Ziehe

Was jedoch weitaus gravierender ist, ist die offensichtliche Instrumentalisierung der Kunstwerke, um eine bestimmte Erzählung zu stützen. Die Ausstellung präsentiert Werke, die sowohl den kapitalistischen als auch den sozialistischen Realismus glorifizieren, als wären sie gleichermaßen repräsentativ für die „Wahrheit“ jener Zeiten. In Wirklichkeit jedoch sind diese Werke Produkte einer Propagandamaschinerie, die in beiden Systemen existierte und die Realität auf eine Weise verzerrte, die heutigen Besuchern kaum zu vermitteln ist.

Ein besonders frappierendes Beispiel ist die Präsentation von Werken aus der DDR, die das sozialistische Paradies darstellen. Diese Werke stehen in krassem Gegensatz zu den Werken westlicher Künstler, die die Schrecken des Kapitalismus anprangern. Doch anstatt diesen Kontrast zu nutzen, um die Komplexität der politischen Ideologien und ihre Auswirkungen auf die Kunst zu beleuchten, lässt die Ausstellung die Werke nebeneinander bestehen, als wären sie gleichwertige Darstellungen einer objektiven Realität.

Der Preis der Neutralität

Hier zeigt sich die wahre Schwäche der Ausstellung: ihre unfassbare Neutralität. In einer Zeit, in der Kunst als Ausdrucksmittel für politische und soziale Kämpfe wieder an Bedeutung gewinnt, wirkt diese Neutralität wie eine gefährliche Ausflucht. Anstatt sich klar zu positionieren und die dringenden Fragen unserer Zeit zu stellen – Wie beeinflusst Politik die Kunst? Welche Verantwortung haben Künstler in Zeiten der Krise? – zieht sich die Ausstellung in eine sichere, distanzierte Betrachtung zurück, die weder provoziert noch inspiriert.

Ein letzter Blick auf die Gegenwart

Vielleicht ist es jedoch diese Schwäche, die die Ausstellung am Ende doch noch relevant macht. Denn in ihrer Weigerung, Stellung zu beziehen, offenbart sie die tiefsitzende Unsicherheit, die unsere Gesellschaft heute durchzieht. In einer Welt, in der klare Antworten immer schwerer zu finden sind, bietet „Extreme Tension. Art between Politics and Society“ ein verstörendes Spiegelbild unserer Zeit – ein Spiegelbild, das zeigt, wie leicht wir in die Falle der Neutralität tappen können, während die Welt um uns herum in Flammen steht.

Angela Hampel,: Medea, 1985, Öl auf Hartfaser, 166 x 122 cm, Staatliche Museen zu Berlin,
Nationalgalerie / VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Fazit: Wenn diese Ausstellung eines zeigt, dann, dass Kunst nicht nur ein Spielball der Politik ist, sondern auch ein stiller Komplize. Doch anstatt die Kunst als Kraft zu feiern, die die Mächtigen zur Verantwortung zieht, scheint die Neue Nationalgalerie sie eher als Relikt einer vergangenen Zeit zu behandeln – und dabei die Chance zu verpassen, eine lebendige, engagierte Diskussion über die Rolle der Kunst in der heutigen Gesellschaft anzustoßen.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 28. September 2025, doch ob sie die Zeit überdauern wird, bleibt fraglich​ (visitBerlin).

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