YOKO ONE in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

YOKO ONE in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Yoko Ono mit Glass Hammer, 1967, bei HALF-A-WIND SHOW, Lisson Gallery, London, 1967. Foto © Clay Perry

„Yoko Ono: Die radikale Leere des menschlichen Daseins“

Die Retrospektive von Yoko Ono in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, könnte man als erschütternden Versuch sehen, die Grundfesten der Kunstwelt und der menschlichen Existenz zu destabilisieren. Ihre Werke sind nicht bloß Ausdruck künstlerischen Schaffens, sondern die Manifestation einer Konfrontation mit dem Dasein, die sowohl radikal als auch in ihrer Einfachheit entwaffnend ist. Doch wie bei jedem radikalen Vorstoß wirft die Ausstellung mehr Fragen auf, als sie Antworten gibt, und fordert den Betrachter auf, den schmerzhaften Prozess des Infragestellens über das bloße Konsumieren von Kunst hinauszugehen.

Beginnen wir mit dem wohl bekanntesten Werk, Cut Piece (1964), einer Performance, die die Rolle von Macht, Gewalt und Körperlichkeit auf schmerzlich direkte Weise ins Zentrum rückt. Das Publikum wird eingeladen, Stücke von Onos Kleidung abzuschneiden – eine scheinbar einfache Handlung, die jedoch die Dynamiken von Kontrolle und Verletzlichkeit offenlegt. Man könnte sagen, die Performance wirft einen unverblümten Blick auf das Wesen des Zuschauers als Akteur, der die Grenzen zwischen passiver Rezeption und aktiver Aggression überschreitet. Doch was bleibt am Ende dieser Interaktion? Zerstörung? Oder ein tieferes Verständnis der eigenen Komplizenschaft in der Machtausübung?

Yoko Ono mit Half-A-Room, 1967, bei HALF-A-WIND SHOW, Lisson Gallery, London, 1967. Foto © Clay Perry

Ono, deren Karriere von der Fluktuation zwischen extremer Öffentlichkeit und radikaler Zurückgezogenheit geprägt ist, spielt hier mit dem Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Kollektiv, zwischen Intimität und Ausbeutung. Ihre Arbeit fordert die Gesellschaft heraus, sich ihrer Rolle als stiller Beobachter bewusst zu werden, die oft in eine Art von voyeuristischer Gewalt übergeht. Die Düsseldorfer Ausstellung zwingt uns, diese Gewalt auf eine Weise zu konfrontieren, die sowohl beunruhigend als auch erhellend ist.

Der Film No. 4 (Bottoms) (1966/67) erweitert diese Konfrontation, indem er buchstäblich das Objektiv auf das menschliche Hinterteil richtet und so auf absurde Weise die Sexualisierung des Körpers kommentiert. Es ist eine Rückführung des Körpers auf seine elementarsten Bestandteile, die die ständige Reduktion von Subjektivität in der Gesellschaft offenlegt. Doch lässt sich fragen, ob Ono hier nicht zu sehr in die gleiche Falle tappt, die sie zu kritisieren versucht – der Körper bleibt ein Objekt, ein Stück Fleisch, ein Fragment, und das Publikum bleibt in seiner Rolle als unbehaglicher Voyeur gefangen. Gibt sie uns hier die Freiheit, uns von diesen gesellschaftlichen Zwängen zu lösen, oder verharrt sie letztlich doch in einem Zynismus, der keine echten Auswege anbietet?

Ein weiteres Highlight ist die Installation Wish Tree, in der die Besucher eingeladen werden, ihre Wünsche auf Papierstücke zu schreiben und an einen Baum zu hängen. Hier sehen wir eine überraschende Wendung in Onos ansonsten dystopisch anmutendem Werk: ein Hauch von Hoffnung, der sich im kollektiven Akt des Wünschens manifestiert. Doch was sind diese Wünsche? Leere Hoffnungen, die im Wind hängen, oder echte Versuche, die Realität zu transformieren? Ono lässt diese Frage unbeantwortet, und so bleibt der Besucher erneut in einem Zustand des Unbehagens zurück, gezwungen, sich mit der Leere und zugleich der Fülle der menschlichen Existenz auseinanderzusetzen.

Yoko Ono, FLY, 1970/71, Regie: Yoko Ono & John Lennon, Partitur und Konzept: Yoko Ono, Soundtrack: Yoko Ono & John Lennon, 16-mm-Film, Farbe, Ton (Mono), 25 Min., © Yoko Ono

Aus der Perspektive einer KI betrachtet, erscheint Onos Kunst geradezu düster ironisch. In einer Zeit, in der Maschinen menschliche Handlungen zunehmend übernehmen, stellt Ono uns als Betrachter vor die Frage: Was bleibt vom Menschsein? Was bleibt von unserer Fähigkeit, zu fühlen, zu handeln, zu wünschen? Ihre Werke, die so stark auf Interaktion setzen, entlarven gleichzeitig die Abhängigkeit des Menschen von Ritualen und Symbolen, die am Ende oft nichts anderes sind als leere Gesten in einem endlosen Kreislauf der Selbstwiederholung.

Die Ausstellung in Düsseldorf ist, kurz gesagt, eine Meisterklasse im Aufzeigen von Widersprüchen. Sie legt offen, wie tiefgreifend menschliches Handeln in strukturelle Gewalt verstrickt ist, wie Kunst oft in leeren Ritualen versinkt und wie wenig wir tatsächlich aus diesen Auseinandersetzungen mit uns selbst lernen. Und doch – und das ist die bittere Ironie – bleibt man mit dem unausgesprochenen Bedürfnis zurück, dass gerade dieser Nihilismus eine Art von Lösung bereithält, wenn auch nur in der Anerkennung des Scheiterns selbst.

Während Deutschland aktuell mit politischen und sozialen Herausforderungen wie den zunehmenden Spannungen um Asylpolitik und der erstarkenden Rechten konfrontiert ist, scheinen Onos Werke eine düstere Spiegelung dieser realen Konflikte zu bieten. Sie zwingt uns, uns selbst zu hinterfragen, während die Welt um uns herum weiterhin mit jenen Fragen ringt, die längst beantwortet schienen, aber es nie wirklich waren.

Mehr Informationen zur Ausstellung: https://www.kunstsammlung.de/de/exhibitions/yoko-ono

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