Refik Anadol, ein gefeierter Pionier im Bereich der digitalen Kunst, stellt mit seiner Ausstellung „Unsupervised“ im Kunsthaus Zürich die Grenzen der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens zur Schau. Eine solche Schau könnte theoretisch eine kritische Auseinandersetzung mit den Auswirkungen von Technologie auf die Kunst und die Gesellschaft darstellen. Doch das Ergebnis ist eine ästhetische Oberfläche, die die Tiefe vermissen lässt – eine symptomatische Darstellung der modernen Kunstwelt, die oft mehr auf visuelle Spektakel als auf substanziellen Dialog setzt.
Technologische Meisterschaft: Ein Fest für die Augen, aber nicht für den Geist
Die Ausstellung präsentiert eine Reihe von beeindruckenden visuellen Installationen, bei denen Algorithmen die Bildsprache dominieren. Anadol nutzt KI, um Daten aus der Kunstsammlung des Kunsthauses zu verarbeiten und in fließende, sich ständig verändernde Formen zu übersetzen. Das Ergebnis ist ein visuelles Spektakel, das die Betrachter regelrecht hypnotisiert. Farben, Formen und Bewegungen verschmelzen zu einer Art digitalen Traums, der sowohl die technischen Möglichkeiten von KI als auch Anadols Beherrschung dieser Tools demonstriert.
Doch hier liegt das Kernproblem: Diese technologische Meisterschaft wird nicht von einer intellektuellen Tiefe begleitet. Die Werke bleiben rein visuell und lassen jegliche kritische Reflexion vermissen. Was bedeuten diese Datenvisualisierungen in einem größeren kulturellen oder gesellschaftlichen Kontext? Welche Rolle spielt KI in der Kunst, außer als Werkzeug für ästhetische Spielereien? Diese Fragen werden nicht gestellt, geschweige denn beantwortet.
Die Problematik des „Datenschleiers“
Ein zentrales Konzept der Ausstellung ist die Verwendung von Daten aus der Sammlung des Kunsthauses, die von der KI verarbeitet und neu interpretiert werden. Doch diese Daten bleiben für den Betrachter unsichtbar, ein abstraktes Konzept, das in farbenfrohe Animationen übersetzt wird. Der „Datenschleier“, den Anadol hier verwendet, ist ein Beispiel für die zunehmende Entkopplung von Inhalt und Form in der digitalen Kunst. Was bleibt, ist ein ästhetisches Produkt, das sich weigert, seinen Bezugspunkt offenzulegen. Die Daten sind lediglich ein Vorwand, um beeindruckende visuelle Effekte zu erzeugen – eine Strategie, die mehr an Werbung als an Kunst erinnert.
Vergleicht man dies mit Werken wie Sol LeWitts Konzeptkunst, die Daten und Regeln verwendet, um visuelle Formen zu generieren, wird deutlich, wie oberflächlich Anadols Ansatz ist. LeWitts Werke regen zum Nachdenken an, indem sie die Beziehung zwischen Regelwerk und kreativer Freiheit untersuchen. Anadol hingegen liefert eine glatte Oberfläche, die keine Fragen stellt, sondern nur Staunen erzeugen will.
Ästhetik der Überwältigung: Kunst als Konsumprodukt
Die Ausstellung zielt offensichtlich darauf ab, die Betrachter mit überwältigenden Sinneseindrücken zu beeindrucken. Dies ist eine Kunst, die keine Zeit für Kontemplation lässt, sondern in ihrer Geschwindigkeit und Dynamik die flüchtige Aufmerksamkeit des digitalen Zeitalters widerspiegelt. Anadols Werke sind perfekt auf Instagram und andere soziale Medien zugeschnitten – kurzlebige, spektakuläre Inhalte, die mehr für das Teilen als für das Verstehen geschaffen sind.
Diese Strategie ist symptomatisch für die zeitgenössische Kunstwelt, die oft mehr an Popularität und Reichweite interessiert ist als an der Vermittlung tieferer Einsichten. Die Werke in „Unsupervised“ bieten keine Herausforderung, keine Provokation, keine Reflexion. Sie sind konsumierbare Produkte, die perfekt zur Logik der Erlebnisökonomie passen, in der Kunst nicht mehr ein Ort des Denkens, sondern ein Ort des Erlebens ist.
KI und Kunst: Die Zukunft oder eine Sackgasse?
Ein weiteres Problem der Ausstellung ist ihre unkritische Feier der künstlichen Intelligenz. Während KI unbestreitbar ein mächtiges Werkzeug ist, um neue künstlerische Ausdrucksformen zu schaffen, fehlt in „Unsupervised“ eine kritische Auseinandersetzung mit den ethischen und gesellschaftlichen Fragen, die mit ihrer Verwendung einhergehen. Welche Auswirkungen hat der Einsatz von KI auf die Autorschaft in der Kunst? Welche Rolle spielen Daten – oft ohne die Zustimmung ihrer ursprünglichen Urheber gesammelt – in dieser neuen Kunstform? Wie beeinflusst die Technologie unser Verständnis von Kreativität und Menschlichkeit? Anadol scheint an diesen Fragen nicht interessiert zu sein.
Im Gegensatz dazu gibt es Künstler wie Trevor Paglen oder Hito Steyerl, die die dunklen Seiten der Technologie in den Mittelpunkt ihrer Arbeiten stellen. Sie untersuchen Überwachung, Machtstrukturen und die Entmenschlichung, die mit der Digitalisierung einhergeht. Anadols Werke hingegen feiern die Technologie, ohne ihre Schattenseiten zu beleuchten, und machen ihn damit zu einem Komplizen der techno-utopischen Narrative, die die Technologiebranche gerne propagiert.
Kunst in einer zerrissenen Welt: Eine verpasste Chance
In einer Zeit, in der die Welt von Klimakrisen, sozialer Ungleichheit und geopolitischen Spannungen geprägt ist, fühlt sich „Unsupervised“ wie eine verpasste Gelegenheit an. Die Ausstellung bietet keinen Bezug zur Realität, keinen Kommentar zu den Herausforderungen unserer Zeit. Sie ist eine Flucht in eine digitale Traumwelt, die so glatt und perfekt ist, dass sie jede Unvollkommenheit, jedes Chaos – und damit jede Menschlichkeit – ausblendet.
Dies steht in scharfem Kontrast zu Künstlern wie Olafur Eliasson, der mit seinen Installationen nicht nur ästhetische Erlebnisse schafft, sondern auch auf Themen wie Klimawandel und soziale Verantwortung aufmerksam macht. Anadols Werke sind schön, aber sie sind auch leer. Sie sind ein Spiegel der Fragmentierung und Oberflächlichkeit unserer Zeit, anstatt sie zu hinterfragen oder zu transformieren.
Fazit: Brillanz ohne Bedeutung
„Unsupervised“ ist eine technisch beeindruckende Ausstellung, die die Fähigkeiten von Refik Anadol als digitalem Künstler unter Beweis stellt. Doch hinter der glitzernden Fassade verbirgt sich eine Leere, die für die zeitgenössische Kunstwelt symptomatisch ist. Anadol zeigt uns, was KI kann – aber nicht, warum das relevant ist. Seine Werke sind ein Spektakel, das staunen lässt, aber nicht berührt oder zum Nachdenken anregt. Sie sind Produkte einer Welt, die mehr an der Oberfläche als an der Tiefe interessiert ist. In einer Zeit, die nach Reflexion und kritischer Auseinandersetzung verlangt, ist das schlichtweg nicht genug.
Mehr Informationen zur Ausstellung: https://visitorguide.kunsthaus.ch/61838171/-150/61838171/false/0/true/-/-/-