Die Ernüchterung einer romantisierten Ära: Eine Kritik zu Jim Dines Ausstellung in der Albertina

Die Ernüchterung einer romantisierten Ära: Eine Kritik zu Jim Dines Ausstellung in der Albertina
Jim Dine A Heart At The Opera, 1983 130 x 95 cm, Print auf Papier ALBERTINA, Wien © Bildrecht, Wien 2024

Die Albertina in Wien, ein Ort von immenser künstlerischer Bedeutung, hat sich in ihrer jüngsten Ausstellung Jim Dine, einer Schlüsselfigur des amerikanischen Nachkriegs-Kunstgeschehens, zugewandt. Mit dem Fokus auf über sechzig Jahren künstlerischen Schaffens ist die Schau als Retrospektive angelegt – und doch bleibt sie bemerkenswert eindimensional. Trotz der glanzvollen Ankündigung und des Versuchs, Dine als „Modernen Klassiker“ zu feiern, lässt diese Ausstellung wenig Raum für substanzielle Begeisterung und krankt an ihrer oberflächlichen Aufarbeitung eines Werkes, das sich selbst zu oft in formelhaften Gesten erschöpft.

Bereits der Titel der Ausstellung, schlicht „Jim Dine“, lässt nichts Geringeres als einen Triumph des künstlerischen Oeuvres erwarten, eine umfassende Verhandlung seiner tiefsten Motivik, seiner Einflüsse und seiner Entwicklung als Künstler. Doch das Ergebnis ist eine plakative Darstellung der offensichtlichen Elemente seiner Arbeit – Herzen, Werkzeuge, Venedig, und ein Sammelsurium seiner Pinselstriche, die mehr Bekenntnis zu einem verklärten Egoismus denn zu einer substantiellen Aussagekraft sind. Dines Arbeit, die oft als emotionale Introspektion gelobt wird, scheint hier nur an der Oberfläche zu kratzen und wird in der Ausstellung zu einer Ansammlung von künstlerischen Klischees, die keine intellektuelle Tiefe und kaum philosophischen Mehrwert bieten.

Das Herz als banales Symbol der Emotion

Einer der zentralen roten Fäden in Jim Dines Werk ist das Motiv des Herzens, das in der Ausstellung in nahezu omnipräsenter Form auftaucht. Und hier liegt bereits eines der größten Probleme: Das Herz ist ein Symbol, das in der Kunstgeschichte sowohl emotional aufgeladen als auch bis zur Banalität ausgelaugt wurde. Man denke an Künstler wie Frida Kahlo, die das Herz in Werken wie „Die zwei Fridas“ als eindringliches Symbol für Schmerz und Sehnsucht einsetzte, oder an Damien Hirsts zynische Dekonstruktionen des Organischen in seinen Tierpräparationen. Im Vergleich dazu wirkt Dines endlose Wiederholung des Herzens als visuelle Formel uninspiriert, geradezu infantil. Die Herzen erscheinen nicht als Einladung zur Reflexion oder als Erkundung innerer Abgründe, sondern als dekorative Ornamente ohne Substanz. Die Ausstellung zeigt Dine als einen Künstler, der das Potenzial dieses universellen Symbols nicht voll ausschöpft, sondern in seiner Wiederholung jegliche Spannung erdrückt.

Werkzeuge als Metapher – aber für was genau?

Ein weiteres Motiv, das Dines Schaffen dominiert, sind Werkzeuge, die er als Metaphern für die menschliche Existenz, für Arbeit, Schöpfung und vielleicht sogar für seinen persönlichen Bezug zur Handwerkskunst verwendet. Doch in der Ausstellung werden diese Werkzeuge, ob als realistische Darstellungen oder abstrahierte Formen, letztlich auf eine Weise präsentiert, die ihre Symbolik untergräbt. Sie scheinen vielmehr eine Hommage an die physische Welt und die greifbaren Objekte des Alltags zu sein, als dass sie eine tiefere Erzählung über die Beziehung zwischen Mensch, Maschine und Natur bieten würden. Verglichen mit Künstlern wie Marcel Duchamp, der mit seiner radikalen Umdeutung von Alltagsgegenständen eine intellektuelle Revolution auslöste, wirken Dines Werkzeuge zahm und unambitioniert. Es ist, als würde Dine den Werkzeugen eine universelle Bedeutung zuschreiben wollen, doch bleibt die zugrunde liegende Idee unklar und unzureichend erforscht.

Venedig und die romantische Nostalgie

Ein Abschnitt der Ausstellung widmet sich Dines Beziehung zur Stadt Venedig, die in seinem Werk immer wieder als Inspirationsquelle auftaucht. Doch auch hier wird schnell deutlich, dass Dine eher an einer romantisierten Vorstellung der Lagunenstadt hängt, als dass er sich mit den komplexen Schichten von Geschichte, Verfall und kultureller Transformation auseinandersetzt, die Venedig zu einem so vielschichtigen Symbol machen. Seine Darstellungen, ob in Form von Gemälden oder Drucken, scheinen in einer oberflächlichen Ästhetik zu verharren, die eher an touristische Postkarten als an tiefgründige künstlerische Reflexionen erinnert. Wo etwa J. M. W. Turner die Lichtspiele Venedigs nutzte, um die Fragilität der menschlichen Existenz zu thematisieren, bleibt Dines Venedig seltsam leer und spannungslos.

Jim Dine
New Pinocchio #16, 2003
145 x 90 cm, Radierung, handcoloriert, auf Kapa montiert
ALBERTINA, Wien – The ESSL Collection © Bildrecht, Wien 2024

Technik und Materialität: Eine verpasste Gelegenheit

Ein weiterer Aspekt, der die Ausstellung enttäuschend macht, ist die mangelnde Experimentierfreude in Bezug auf Technik und Materialität. Während Künstler wie Robert Rauschenberg und Jasper Johns – Dines Zeitgenossen – mit innovativen Techniken und der Einbeziehung unkonventioneller Materialien neue Wege in der Kunst eröffneten, scheint Dines Ansatz trotz seiner vielfältigen Medien stets in konventionellen Bahnen zu bleiben. Seine Skulpturen, Drucke und Gemälde tragen zwar die Handschrift eines technisch versierten Künstlers, doch fehlt es ihnen an jener radikalen Innovation, die wirklich bedeutende Kunst auszeichnet. Es ist, als habe Dine sich irgendwann entschieden, in einem komfortablen ästhetischen Raum zu verharren, anstatt die Grenzen seines Schaffens kontinuierlich zu erweitern.

Die Präsentation: Glanz ohne Substanz

Die Albertina selbst hat ohne Frage die logistischen Mittel, um eine Ausstellung von höchstem Standard zu präsentieren, und dies zeigt sich in der makellosen Inszenierung von Dines Arbeiten. Doch gerade diese Perfektion verstärkt das Gefühl der Leere, das die Ausstellung durchzieht. Die Räume, die Beleuchtung, die Anordnung der Werke – alles wirkt kalkuliert, geradezu steril, und trägt wenig dazu bei, den Betrachter emotional oder intellektuell herauszufordern. Die kuratorische Entscheidung, Dines Werk auf eine Weise zu präsentieren, die eher an eine dekorative Hommage denn an eine kritische Auseinandersetzung erinnert, ist ein weiterer Schwachpunkt der Ausstellung.

Die größere Frage: Ist Jim Dine ein moderner Klassiker?

Die Albertina bewirbt Jim Dine als „Modernen Klassiker“, doch die Ausstellung selbst bietet kaum überzeugende Argumente für diese Behauptung. Was macht einen modernen Klassiker aus? Ist es die Fähigkeit, zeitlose Themen mit innovativen Mitteln zu behandeln? Ist es die Kraft, das Publikum intellektuell und emotional zu fordern? Ist es der Mut, die Konventionen der eigenen Zeit infrage zu stellen? Wenn diese Kriterien gelten, dann bleibt Dine hinter seinen Zeitgenossen und Vorgängern zurück. Seine Werke sind sicherlich kompetent und gelegentlich sogar charmant, doch fehlt es ihnen an jener visionären Qualität, die wahre Klassiker auszeichnet.

Tagesaktueller Bezug: Die Trägheit der Kulturpolitik

Interessanterweise könnte man die Probleme der Dine-Ausstellung im Kontext der aktuellen kulturpolitischen Situation in Deutschland sehen. So wurde heute bekannt, dass die deutsche Bundesregierung die Förderung für Kulturinstitutionen im Jahr 2025 drastisch kürzen will. Während dies auf den ersten Blick wenig mit Jim Dine zu tun hat, lässt sich hier ein gemeinsamer Nenner finden: die Trägheit und Kurzsichtigkeit, mit der kulturelle Entscheidungen getroffen werden. Wie die Ausstellung in der Albertina zeigt, tendieren große Institutionen dazu, etablierte Namen zu feiern, anstatt Risiken einzugehen und neue, radikale Stimmen zu fördern. Die Förderung von Künstlern wie Jim Dine, die längst ihren Zenit überschritten haben, ist symptomatisch für eine Kunstwelt, die oft mehr an der Vermarktung als an der Innovation interessiert ist.

Fazit

Jim Dines Ausstellung in der Albertina ist letztlich eine verpasste Gelegenheit. Sie hätte eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den Stärken und Schwächen eines Künstlers sein können, der zwar einen wichtigen Platz in der Kunstgeschichte einnimmt, aber nicht ohne Kritik betrachtet werden sollte. Stattdessen bleibt sie an der Oberfläche, präsentiert Dines Werk als ästhetische Ware und scheitert daran, eine echte intellektuelle oder emotionale Resonanz zu erzeugen. Es ist eine Schau, die zwar nett anzusehen ist, aber kaum in Erinnerung bleibt – eine ironische Parallele zu Dines eigener künstlerischer Praxis.

Mehr Informationen zur Ausstellung: https://www.albertina.at/ausstellungen/jim-dine-2024/

Jim Dine
Untitled Tools (Portfolio of 9), 2009
60 x 45 cm, Lithographie auf Papier
ALBERTINA, Wien – Schenkung des Künstlers und von Diana Michener © Bildrecht, Wien 2024

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